Es ist ein grauer Samstag mit Nieselregen und ich habe so gar keine Lust, irgendetwas zu lernen, geschweige denn, aus dem Haus zu gehen. Aber ich habe mich für den Kurs „Samengärtnerei im Hausgarten“ bei Annette Holländer im Garten des Lebens bei Baiern (in Bayern) angemeldet und schwinge mich halbherzig ins Auto. Als ich ankomme, setzt pünktlich der Platschregen ein. Na toll. Gummistiefel an, Regenschirm auf und ab geht es durch Annettes Garten an den Hasen und Hühnern vorbei in den zitronengelben Klassenraum der 1c der örtlichen Schule.
Regenschirm zu, Gummistiefel aus… upps, ich bin die einzige Frau im Kurs. Sowas. Ist Samengärtnerei ein Männerthema?
Ich sitze gemütlich im Trockenen auf dem zitronengelben Kinderstuhl. Auf meiner Schreibbank klebt ein „Ich habe dich lieb“ – Aufkleber. Ach ja, jetzt kann es losgehen.
Annette gibt eine spannende Einführung in die Geschichte der Nutzpflanzen. Mir war ja klar, dass Tomaten und Kartoffeln aus der Neuen Welt Amerika kamen – aber, dass die Römer den Kohl und anderes bei uns eingeführt haben, ist mir neu. Es scheint, die alten Germanen haben sich lediglich von Getreide und Rüben ernährt. Hier und da eine Beere vielleicht und jede Menge Fleisch.
Ich staune: Seit 1900 sind ca. 75% der landwirtschaftlichen Nutzpflanzen ausgestorben. Heute sind 600 Sorten durch das Bundessortenamt genehmigt. Ein Großteil davon hat noch das Dritte Reich als „vermehrungswürdig“ ausgewählt, während viele Sorten als „nicht vermehrungswürdig“ verbannt wurden. Irgendwie grausig, oder? Es gibt ja alleine schon 1000 Tomatensorten. Eigentlich.
2010 hat die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung 1800 Gemüse- und Obstsorten auf die Rote Liste gesetzt. Alles in allem hängt heute die gesamte Welternährung von ca. 30 Pflanzenarten ab. Wohlgemerkt eine Art hat wieder verschiedene (heute nur wenige) Sorten. Trotzdem bedenklich. Verschiedene Sorten sind unterschiedlich resistent gegen Krankheiten, Schädlinge etc. und somit bedeutet Sortenvielfalt auch Ertrags- und Nahrungssicherheit.
Wie vielfältig die Samenwelt einmal war, kann man an der Gendatenbank der IPK Gatersleben sehen:
Mit einem Gesamtbestand von 151.002 Mustern aus 3.212 Arten und 776 Gattungen zählt die Genbank des IPK zu den weltweit größten Einrichtungen ihrer Art. Sie leistet einen wichtigen Beitrag zur Verhinderung des Aussterbens (Generosion) von Kulturpflanzen und von mit ihnen verwandten Wildarten.
Mir dämmert langsam, wie wichtig (und politisch) die Samengärtnerei ist. Es geht um mehr, als für sich selbst Samen aus und für den Eigenanbau zu gewinnen – was mein ursprüngliches Interesse an diesem Kurs war. Es gibt zwei beachtenswerte Vereine, mit denen ich mich noch mehr beschäftigen und evtl. unterstützen möchte: VEN – Verein zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt und ARCHE NOAH – Gesellschaft für die Erhaltung der Kulturpflanzenvielfalt und ihre Entwicklung.
Mein Kopf brummt von den vielen aufrüttelnden Informationen und mein Magen knurrt. Der Regen hat aufgehört und wir laufen schwatzend zurück zu Annettes Haus. Es gibt leckeres Mittagessen mit Forellensalat (nein, kein Fisch, so heißt die alte, vergessene Salatsorte) und Mangoldknödeln mit Pilzen – und traumhafte, selbstgemachte Kornellkirschensaftschorle.
Gestärkt und unter halbwegs aufgelockertem Himmel machen wir uns an die Praxis. Samen kommen entweder im gleichen Jahr des Anbaus, oder die Pflanze muss überwintert und im Frühjahr wieder ausgesetzt werden, damit sie Samen bildet. Wenn die Samen reif sind, reißt man die Pflanze aus, trocknet und drischt sie.
Die Hülsen und den Dreck kann man aussieben oder einfach auspusten, erklärt und zeigt Annette:
Wer wissen will, ob sich die Arbeit lohnt, kann einen Keimtest machen: Auf einem Papier ein paar Samen auslegen und feucht halten. Wenn die meisten Samen aufgehen, ist es die Mühe wert, die Samen zu dreschen, auszupusten und auszusähen. Dann braucht man sie nur noch richtig zu lagern und zu beschriften, damit man nichts vergisst.
Zum Abschied grüßt uns die Raupe des Schwalbenschwanzes, die ausschließlich den Fenchel mag und sonst nix – und deswegen nur noch so selten zu sehen ist, da in den Gärten und der Natur kaum noch Fenchel wächst. Gerne würde ich der Raupe noch zusehen und Annette weiter zuhören. Aber der Tag ist schon wieder fast vorbei und ich nehme so viel mit, was ich zu Hause umsetzen mag.
28. Februar 2018 um 20:30
Wenn auch spät – liebe Kirsten – Du hast einen tollen Beitrag geschrieben und die Samengärtnerei verstanden.
Wir sind jetzt ab Mai 2018 in der Holledau und bauen einen neuen Vermehrungsgarten zur Samengärtnerei auf. Ich freue mich schon, wenn der Frost endlich weg ist, damit ich was tun kann – Liebe Grüße von Hans, natürlich auch von Annette
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