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Wie werde ich Selbstversorger in kleinen Schritten

Hofführung beim Obergrashof

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Bio ist ja nicht gleich Bio, lernen wir gerade. Es gibt das deutsche staatliche Bio-Siegel (nach EG Öko-Verordnung). Dann gibt es Verbände wie Bioland und Naturland etc., die ihr eigenes Siegel haben und deren Richtlinien strenger sind als die Mindeststandards der EU-Öko-Verordnung. Am strengsten sind die demeter-Richtlinien. Genau deswegen fahren wir Richtung Dachau bei München zum Obergrashof, um mal zu schauen, wie sich ein seit über 20 Jahren bestehender demeter-Betrieb so anfühlt, der 2012 den Förderpreis Ökologischer Landbau gewonnen hat. Was machen die und wie?

Uns empfängt ein schöner Hofladen, in dem die Leute schon Schlange stehen (obwohl man extra aufs Land fahren muss, um hier einzukaufen). Nebenan steht das Gästehaus, der Treffpunkt für unsere Hofführung. Dort tummeln sich bereits so viele Familien, Jugendliche, mittelalte Pärchen wie wir und Rentner, dass wir etwas zurückschrecken. Oh je, wollen die alle zur Führung? Naja, ist ja eigentlich toll, dass sich so viele für biologisch-dynamisches Gärtnern interessieren…  Erleichtert atmen wir auf, als die Betriebsleiter Julian Jacobs & Peter Stinshoff mit ihren Mitarbeitern verschiedene Themengruppen anbieten und die Reihen sich lichten.

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Wir gehen mit Julian Jacobs und nur einer Hand voll anderer Besucher ins Gästehaus und sind gespannt auf seinen Vortrag über Pflanzenzüchtung & Samengärtnerei. Das Wort „F1 Hybride“ hatten wir ja schon öfter mal gehört und eine schwammige Vorstellung von der Bedeutung, nach dem Motto „naja, das sind halt überzüchtete Sorten, die einen größeren Ertrag bringen“. Jetzt aber, Grüß Gott, geht uns ein Licht auf. Ein „Hybrid“ ist eine Kreuzung, soweit noch alles klar. „F1“ steht für die erste Tochtergeneration (Achtung Schulwissen: Vererbungslehre Gregor Mendel „Filiale 1“), soweit auch noch nicht tragisch. Aber jetzt kommt es knüppeldick.
Die Pflanzen werden per Inzucht genetisch verarmt. Die Pflanze wird dazu von Artgenossen isoliert, ihre natürlichen „Selbstbefruchtungsverhinderungsmechanismen“ werden mit künstlichen Mitteln umgangen, über mehrere Generationen hinweg. So kann „innerhalb“ einer Pflanze meistens mit Skalpell, Pinzette und Pinsel, oder auch nur in der Petrischale (dann nur Pflanzenteile) Saatgut erzeugt werden.
Zwei dieser Inzucht-Linien werden dann gekreuzt. Effekt: Die Tochtergeneration (F1) freut sich über das lang ersehnte, zusätzliche Erbgut und explodiert in Ertrag & Größe (Heterosiseffekt) und die Pflanzen & Früchte sehen alle auch noch gleich aus (Mendelsches Erbgesetz). Nachteil: Die Samen der explodierten Tochtergeneration, die Kinder (F2) der F1 Hybriden, sind zu nix zu gebrauchen und kümmern vor sich hin. Fazit: Immer wieder neues Saatgut kaufen und abhängig sein vom Saatgut-Hersteller.
Außerdem eine klitzekleine Frage am Rande: Wie bitte züchtet man eigentlich auf kontrollierte Weise mit diesen Inzucht-Pflanzen? Pflanzen verbreiten ihr Gengut über Pollen, die eben so gar nicht kontrollierbar sind, da der Wind oder Insekten mitarbeiten. Logisch, wir Menschen „produzieren“ einfach „männlich sterile“ Pflanzen, die keinen befruchtungsfähigen Pollen bilden können und verwenden diese wiederum als „Mutterpflanzen“, welche von einer anderen Vaterlinie befruchtet werden. „Männlich steril“ wird eine „Mutterpflanze“ durch „abschalten“ des Gens, das für die Pollenentwicklung zuständig ist – durch bspw. Chemie, oder durch Einbau von neuem Genmaterial (Protoplastenfusion). Stammt das neue Genmaterial aus einer anderen Art der gleichen Pflanzenfamilie (Bsp.: Weißkohl und Raps sind beides Kreuzblütler), gilt der Eingriff nicht als echte Gentechnik, weil man das gleiche Ergebnis theoretisch auch über Züchtungen hätte erreichen können. Schöngeredet, finden wir, mal gelinde gesagt.
Schließlich kommt die „männlich sterile“ Inzucht-Mutterlinie neben eine ausgewählte Inzucht-Vaterlinie aufs freie Feld. Die Insekten (bei anderen Pflanzenarten der Wind) befruchten artig wie immer  – und schwupps, der F1-Superlaborhelden-Hybrid ist geboren. Und die Frucht davon essen wir dann. Guten Appetit.
Es gibt übrigens auch Hybrid-Hühner, haben wir nachgelesen. Gleiches Prinzip, gleiches Ergebnis. Wir sind recht entsetzt, wie wenig wir als „normale“ Verbraucher und Konsumenten wissen. Wir fragen uns auch, welche Vorstellungen von Ethik und Respekt vor dem Leben (Pflanzen- & Tierleben) manche Menschen wohl haben?
Warum ist das alles so? Weil wir Kunden es gerne schön groß, gleichförmig und billig mögen und weil die Gärtnerbetriebe einen verlässlichen Gewinn brauchen. Auch Bio-Betriebe setzen F1 Hybride ein. Ein Punkt mehr für die Selbstversorgung aus dem eigenen Gemüsegarten.
Gibt es denn nichts, was man gegen diese Entwicklung tun kann? Doch. Sogenannte „samenfeste“ Sorten müssen erhalten und weiter gezüchtet werden. „Samenfest“ bedeutet, dass auch die Kinder dieser Samen in Ordnung und nicht verkümmert sind, da zuvor keine künstliche Inzucht betrieben wurde und die genetische Vielfalt erhalten blieb. Allerdings sind diese Sorten oftmals weniger ertragreich, weniger gleichförmig und weniger groß – Gemüse mit Charakter eben.
Für die samenfesten Sorten spielt auch der Obergrashof eine wichtige Rolle. Der demeter-Betrieb ist Mitglied bei Kultursaat e.V. – Verein für Züchtungsforschung & Kulturpflanzenerhaltung auf biologisch-dynamischer Grundlage. Julian Jacobs züchtet für diesen Verein. Das schauen wir uns im Gewächshaus am Beispiel von Möhren an:

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Der Eingang zum Gewächshaus ist mit einem Fliegenvorhang gesichert. Darin schwirren Fliegen und Hummeln zum Bestäuben herum – und die sollen nicht hinaus, sondern drinnen ihre Arbeit tun und die schönen Dolden der Möhrenblüten anfliegen. Die Möhre blüht erst im zweiten Jahr, d.h. es dauert vier Jahre bis zur zweiten Generation und an die zehn Jahre und mehr bis eine neue Sorte gezüchtet ist. Dann muss sie noch zugelassen werden – was auch ein kompliziertes Thema ist, da die Zulassungskriterien sich an F1-Hybriden orientieren und samenfeste Sorten nicht immer gleich lange Stengel oder gleich große Abstände zwischen den Blättern haben (und herjeh, wen interessiert das schon, wenn es schmeckt?).
Mein Blick fällt auf den Boden und plötzlich bin ich verliebt… in die Schuhe von Julian Jacobs: Holzschuhe aus Österreich (die ich wieder zu Hause gleich im Internet bestelle).

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Eine kleine Verschnaufpause tut jetzt gut. Im Gästehaus gibt es ein leckeres Buffet mit allerlei selbst Angebautem und selbst Gemachtem. Wir tauschen uns mit anderen Besuchern aus und stellen fest, Viele sind hier, weil sie eine Biokiste vom Obergrashhof beziehen und mal wissen wollten, wo das Gemüse herkommt. Upps, fast hätten wir vor lauter neuen Eindrücken vergessen, die freiwillige Spende für das Essen & die Führung in die Box zu legen. Egal was wir geben, das Herzblut mit dem sich die Menschen des Obergrashofs für ihre Ideale und Überzeugungen engagieren, ist mit Geld kaum angemessen zu honorieren.
Nach dem letzten Biss in herrlichen Kuchen schließen wir uns der Gruppe von Peter Stinshoff an und sehen Unglaubliches: Ein riesiges Gewächshaus nur für Kresse. Der wird auf Hanfmatten angebaut, den ganzen Winter über beheizt und ist ansonsten recht unkompliziert. Pro Schale macht der Betrieb einen Gewinn von  ½ Cent. Sie hätten mehr verdient, finden wir.

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Weiter geht’s mit dem Trecker über das 100 Hektar große Gelände. Wir sitzen auf Kisten auf dem Anhänger und lassen uns den Fahrtwind mit Genuss durch die Haare (bzw. bei Patrick über die Beinahe-Glatze) wehen. Wir besuchen die friesische Milchschafherde und hören, wie unangenehm eine Fahrt zum Schlachthof ist, wohlgemerkt für den Menschen.
Wir halten am Rand eines Feldes und Peter hält uns eine Hand voll schon erdig riechenden Kompost unter die Nase. Spannend, welche Würmer wann welche Arbeit machen, um organischen „Abfall“ in biologischen Dünger zu verwandeln. Schließlich zeigt er uns seine Lieblinge, die Mutterkuhherde von 70 Murnau-Werdenfelser Rindern, eine alte, einheimische Rinderart, die fast vergessen und vom Aussterben bedroht ist. Es dauert eine Weile, bis die Herrschaften aus ihrem Grasbett aufstehen und sich an den Zaun bequemen, um uns „Hallo“ zu sagen. Je näher sie kommen, desto mehr beeindruckt sind wir. Welch schönen Tiere! Welch majestätischen Hörner! Die sind übrigens nicht überflüssigerweise am Kopf einer Kuh, sondern ein feines Wahrnehmungsorgan und werden deswegen am Obergrashof auch nicht entfernt.

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Am liebsten würden wir noch ein paar Tage bleiben und von Julian und Peter viel, viel mehr lernen, die Atmosphäre am Hof noch länger genießen. Obwohl, besser noch wäre selbst so etwas in klein aufzubauen, mit dem gleichen Respekt und dem gleichen Gefühl für die Natur, wovon man anderen interessierten Menschen ein Stück abgeben kann, wenn sie zu Besuch kommen. Wir träumen weiter davon, während wir wieder nach Hause fahren und sind dankbar für die Zeit & Mühe, die die Menschen vom Obergrashof in das investieren, woran sie glauben.
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3 Kommentare zu “Hofführung beim Obergrashof

  1. Liebe Kirsten, ganz toller Artikel über den Obergrashof und die F1-Züchtung. Danke!
    Herzlichen Gruß, Annette

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