Helfen die wirklich, die Kräuter? Ich glaube schon. Allerdings beschränkt sich meine Erfahrung auf die pflanzlichen Hustentropfen aus der Apotheke, die Thymian und Primel enthalten (Bronchicum®) oder andere Mittelchen, die aus der Fabrik stammen. Ehrlich gesagt habe ich die Verbindung zwischen dem Thymian in meinem Garten und dem Thymian in einem gekauften Produkt nicht gezogen. Hallo! Es ist der gleiche Thymian mit prinzipiell der selben Wirkung. Außerdem dachte ich, es braucht enormes Fachwissen, um aus einer Pflanze eine Medizin zu machen. Huhu! Die Pflanze selbst ist schon die Medizin. Ausgestattet mit diesem neuen, revolutionären Gedankengerüst – pardon: Mindset – mache ich mich auf in eine sehr alte Welt: In die großmütterliche Tradition der selbst gemachten Hausmittelchen und der Kräutermedizin.
Ich lande in Berkeley, in einer Kräuterschule, die gleichzeitig auch eine Kräuterpraxis ist, in der Kräuterdoktoren kräuterwillige Patienten behandeln. Das Ohlone Herbal Center ist eine Non-Profit-Organisation und bietet den Kurs „Herb Craft and Medicine Making“ an. „Kräuter-Handwerk“, das ist genau richtig für mich. Machen, nicht reden.
Es gibt verschiedene Arten, Kräuter zu verarbeiten und haltbar zu machen, um sie in konzentrierter Form ständig verfügbar zu haben und überall mit hinnehmen zu können:
- Tee & Sud – In Wasser gelöste Kräuter
- Tinktur – In Alkohol oder Glycerin gelöste Kräuter
- Öl – In Öl gelöste Kräuter
- Essig – In Essig gelöste Kräuter
- Oxymel – In Essig und Honig gelöste Kräuter („Sauerhonig“ oder „Ägyptischer Honig“)
- Elixir – In Alcohol und Honig gelöste Kräuter (eher bitter)
- Cordial – In Alcohol und Honig gelöste Früchte oder/und Kräuter (eher süß)
- Sirup – In Honig oder Zucker gelöste Kräuter
- Salbe – In Öl gelöste Kräuter mit Bienenwachs
- Electuarium – In Honig gemischte, pulverisierte Kräuter („Leckmittel“ im Mittelalter, heute „Latwerge“ ähnlich)
Wie man all das herstellt und wozu es gut ist, zeigt uns Liz Migliorelli. Die Kräuterkennerin hat uns einige „Wässerchen“ von zu Hause mitgebracht und wir probieren. Mit der Pipette tropft sie das Kräuternass auf unsere Handrücken. Wow. Jedes Kraut, jede Mischung und jede Zubereitungsart schmecken anders. Wir können kaum erwarten, selbst loszulegen.
Tee & Sud: Die Kunst, Medizinwasser aufzubrühen
Die medizinischen Inhaltsstoffe einer Pflanze in Wasser zu extrahieren bedeutet mehr, als einen Teebeutel mit heißem Wasser zu übergießen. Es ist beinahe ein alchemistischer Prozess, bei dem man „den Kräutern beim Tanzen zuschauen und ihre Magie erahnen kann“, meint Liz.
Den heißen Aufguss mit frischen Kräutern lässt man 30-60 Minuten lang ziehen (1/4 Tasse Kräuter auf 2 Tassen heißes Wasser). Mit getrockneten Kräutern braucht es nur 15 Minuten für einen Tee, oder über Nacht für ein starkes Extrakt (1 Teelöffel oder Esslöffel Kräuter auf 1 Tasse heißes Wasser).
Daneben gibt es den kalten Aufguss mit getrockneten Kräutern, die man einfach über Nacht ziehen lässt (1 Teelöffel oder Esslöffel Kräuter auf 1 Tasse kaltes Wasser).
Einen Sud macht man mit den härteren Teilen einer Pflanze – getrocknete Wurzelstücke, Beeren und Rinden -, die man in Wasser zum kochen bringt, 20 Minuten köcheln lässt, vom Herd nimmt und nochmal 20 Minuten ziehen lässt (1 Teelöffel oder Esslöffel auf 1 Tasse Wasser).
Wir dürfen in große Papiertüten greifen und uns aus Zitronenmelisse, Herzgespann und Tulsi („Holy Basil“, lat. Ocimum tenuiflorum, nicht zu verwechseln mit dem normalen Küchenbasilikum) eine Teemischung zusammenstellen. Hausaufgabe: Tee brauen!
Bei mir wird das ein kleines Experiment. Es gibt kalten Aufguss, heißen Aufguß 15 Minuten ziehen, normaler Tee mit 5 Minuten ziehen und einen Sud, obwohl der nicht für Blätter und Blüten einer Pflanze gedacht ist. Der Tee schmeckt nach Zitronenmelissen-Herzgespann-Tulsi-Tee, der kalte Aufguß schmeckt bitter, der heiße Aufguß noch bitterer und der Sud übertrifft alles bisher an Bitter dagewesene. Wer trinkt das jetzt alles? Keiner? Nein? Nachher, vielleicht, denke ich. Nach zwei Tagen habe ich noch etwas dazu gelernt. Der kalte Aufguss wird als erstes schlecht.
Tinktur: Der Pflanzengeist in der Flasche
Bei einer Tinktur werden die Wirkstoffe einer Pflanze in hochprozentigem Alkohol (60-95%) eingefangen. Alkohol ist sozusagen das Lösungsmittel („Menstruum“) auf das sich durch Einweichen der Pflanzenteile („Mazeration“) der heilsame Geist der Pflanze überträgt.
Wir machen eine Tulsi- und eine Lavendel-Tinktur mit Vodka (1 Teil getrocknete Kräuter auf 5 Teile Alkohol, bei frischen Kräutern ist das Verhältnis 1:2). Wir geben die Kräuter in ein Glas, füllen den Alkohol darüber, schließen den Deckel und lassen das Gemisch 2-4 Wochen stehen, schütteln immer mal wieder. Nach der Wartezeit seien wir die Kräuter ab und füllen die Tinktur in kleine Fläschchen mit Pipette, zur einfachen Dosierung.
Die Tulsi-Tinktur schmeckt wie eine feine Variante des normalen Basilikums. Bei der Lavendel-Tinktur habe ich das Gefühl, Parfüm zu verschlucken. Aber so soll es sein: Ein klarer Krautgeschmack mit einem Hauch Alkohol im Abgang, nicht umgekehrt.
Und, was macht das jetzt mit mir? Erstmal nichts, so scheint es mir. War ja auch nur ein Tropfen Tulsi, den ich geschluckt habe. Später fällt mir eine positive Lösung für einen Gedankenknoten ein, an dem ich seit Tagen erfolglos gezogen habe. Gedankenknoten weg. Neue Perspektive. Lösung da. Kopf frei. War das vielleicht der helfende Tulsi-Tropfen-Tritt in die richtige Richtung? Tulsi – der „Heilige Basilikum“ – soll vor dem schützen, das nicht spirituell ist und helfen, Stress abzubauen. Ich jedenfalls bin ab sofort Tulsi-Fan.
Der Lavendel öffnet den Zugang zur Intuition. Beide Kräuter-Tinkturen sagen neben ihrer immunstärkenden Wirkung: Vertraue Dir selbst! Ein paar Tropfen mehr davon können nicht schaden.
Öl: In Sonne getauchte Kräuter für Küche, Kosmetik und Medizinschrank
Kräuter in Öl einlegen geht ganz leicht. Kräuter ins Glas, Olivenöl oder ein anderes Öl darüber schütten, bis alle Kräuter gut bedeckt sind, Deckel drauf und bis zu vier Wochen und länger in der Sonne stehen lassen, täglich durchschütteln.
Ein solches sonnenverwöhntes Kräuteröl taugt je nach Kräutermischung nicht nur zum Feinschmecker-Salatöl (z.B. Rosmarin, Thymian, Petersilie, Salbei, Liebstöckel, etc.) oder als Zutat für eine Gesichtscreme (z.B. Kamille, Ringelblume, etc.), sondern auch als Basis für eine medizinische Salbe. Wir machen ein Kräuteröl aus Rosmarin, Weide und kalifornischem Lorbeer. Diese Mischung ist gut für die Behandlung von Muskelkater und hilft bei Verspannungsschmerzen. Da bietet es sich an, unser Kräuteröl gleich weiter zur Salbe zu verarbeiten.
Salbe: Die streichzarte Kräutermedizin
Für die Salbe brauchen wir Bienenwachs. Paraffin könnten wir auch verwenden, wollen aber kein Nebenprodukt der Mineralöl-Verarbeitung auf unserer Haut. Auf eine Tasse (240 ml) Kräuteröl nehmen wir 3 Gramm Bienenwachs und lassen es in unserem Rosmarin-Lorbeer-Weiden-Öl schmelzen.
Das dickflüssige Gemisch ist noch heiß, als wir es in unsere kleinen Behälter füllen. Mit dem Abkühlen verfestigt sich das Öl zu einer echten Salbe. Wir geben noch einen Tropfen ätherisches Öl der Zeder hinzu, für den angenehmen Geruch.
Die Salbe zerläuft beim Auftragen auf der Haut und zieht schnell ein. Ob sie bei Muskelkater hilft, kann ich gerade nicht testen, da mir nichts weh tut. Das Salben-Haut-Gefühl ist jedenfalls angenehm.
Ich bin gespannt auf das nächste Kräuterabenteuer mit Elixir, Cordial, Electuarium & Co. Bis dahin nuckle ich fleißig an meiner Tulsi-Tinktur und hoffe auf weitere Geistesblitze.
Hier geht es zu Teil 2 von Kräutermedizin selbst gemacht.
26. Juni 2015 um 8:26
Hat dies auf Fundstücke aus dem Internet rebloggt und kommentierte:
Super genialer Beitrag, ich freue mich schon auf weitere Informationen!
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27. Juni 2015 um 5:46
Danke, das freut mich!
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26. Juni 2015 um 21:59
Wow! Bin total begeistert!!! Auf meiner Fensterbank baden auch gerade Kräuter in Alkohol und Öl!!! Aber dass es sooo viel mehr Varianten gibt, wusste ich nicht!
Bin gespannt auf weitere Weisheiten!
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27. Juni 2015 um 5:49
Dankeschön! Ich hatte auch keine Ahnung und war erstaunt. Erzähl mal, wie Deine Kräuter geworden sind, wenn Du magst.
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28. Juni 2015 um 11:18
Hallo Kirsten – ich habe die Erfahrung gemacht, dass die mit viel Liebe selbergemachten Mittel noch viel besser wirken als die gekauften, denn da ist wirklich Liebe drin :-)!
Am letzten Vortrag von Wolf-Dieter Storl am 5. Juni in Klagenfurt gings um den Umgang mit Heilkräutern in den verschiedenen Kulturen, was auch das Thema seines neuen Buches ist, das im Herbst herauskommt, die Heilkunst der verschiedenen Kulturen. Da war interessant zu erfahren, dass die Indianer vor allem mit Absuden arbeiten und die Europäer eher mit Tees – meine Gedanken dazu: vielleicht braucht der Mensch in den USA „stronger stuff“, da die Energien da auch viel stärker sind (alles wird grösser, Pflanzen, Tiere, Menschen als in Europa) ??
Weiter gem. Storl:
Die Indianer finden das eigenartig, dass Inhaltsstoffe heile sollen – denn der Geist der Pflanze heile – indem wir die Mittel einnehme begeben wir uns in die Resonanz mit dem Bewussteinsfeld der Pflanze – (wahrscheinlich sind die Geister der Pflanzen auch nicht überall auf der Welt in gleicher Weise hervorzulocken? ;-))
Ein toller Beitrag, vielen Dank, bin gespannt auf die Fortsetzung – liebe Grüsse aus der Schweiz
Susanne
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29. Juni 2015 um 1:23
Hallo Susanne,
das ist ja mal spannend alles! Danke fürs Teilen. Das Buch werde ich mir vormerken 🙂 liebe Grüße, Kirsten
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Pingback: Kräutermedizin selbst gemacht (Teil 2) | traum selbstversorger
1. Juli 2015 um 14:08
Hallo Kirsten, habe gerade eine Salbeitinktur u.a. mit folgendem Hintergedanken angesetzt:
Salbei ist ja schweißhemmend; in meinem Deo ( http://sin-die-weck-weg.de/blog/2014/10/13/deo-marke-eigenbau/ ) verwende ich Salbeiöl. Das Deo ist genial und schlägt die gekauften von der Wirkung wirklich um Längen! Es ist ja aber von cremiger Konsistenz mit Stärke als Trägerstoff. Wenn ich das Deo nun an anderen Stellen als unter den Achseln (z.B. Stirn) verwenden wollte, um Schwitzen einzuschränken, kratzt die Stärke etwas. Meine Idee wäre nun, Salbeitinktur, ggf. mit etwas Pfefferminzöl in eine Sprühflasche zu füllen und entsprechend zu verwenden… Kannst du deine Kräuter“chefin“ mal dazu befragen, was sie davon hält?
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1. Juli 2015 um 20:35
Hallo Elke, ja Salbei-Deo ist super! Toll, dass Du das selbst machst, hab ich noch nicht geschafft. Ich kauf das von einer Kräuterfrau um die Ecke. Leider färbt meines auf die T-Shirts ab. Hast Du da einen Tipp?
Ich kann leider meine Schule momentan nicht fragen, da mein nächster Kurs erst im September wieder anfängt. Probier es doch einfach. Wie ich auf Deinem Blog gesehen habe, machst Du wunderbare Sachen 🙂 liebe Grüße in die alte Heimat (ich komme aus Mannheim), Kirsten
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21. Juli 2015 um 15:37
So, meine Tinkturen und Öle sind fertig!!!
http://sin-die-weck-weg.de/blog/2015/07/20/heilkraeutersalbengrundstock/
Bis auf das Salbeiöl – das hatte ich schon und als ich alles einräumen wollte, ist es runtergefallen und auf dem Boden zerdeppert… 😦
Da muss ich also nochmal dran… denn das verwende ich für das Deo! Hatte bisher noch keine Probleme mit abfärben! Und die Grüße an Monnem sind über den Rhein gereicht… 😉
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