Wenn ich als Schwein wiedergeboren werden würde, dann hätte ich einen Wunsch: Bitte lasst mich auf Gut Herrmansdorf bei Glonn leben. Die Herrmannsdorfer Landwerkstätten sind so ziemlich der Jackpot in der Schweinelebenslotterie und bei all jenen Menschen berühmt, die sich im Großraum München für gesunde, auch fleischige Ernährung interessieren. Ich als volljähriger Vegetarier (18 von 42 Jahren fleischlos) stehe eher auf Schweinen als Gartenhilfe – zum Umgraben neu anzulegender Gemüsebeete. Trotzdem bin ich neugierig auf die Hofführung in Herrmannsdorf, da Gründer Karl Ludwig Schweisfurth einigen Respekt für sein Lebenswerk verdient und ich wissen will, wie es den Glücksschweinen so ergeht.
Das Gut wirkt wie ein kleines Märchendorf. Um die alte Linde in der Mitte gruppieren sich Hofladen, Wohnhaus mit Türmchen, moderner Schaustall, Biergarten, Restaurant mit Bäckerei und Büros, Käserei und Brauerei. Dahinter liegen das Schweinedorf, das Kinderdorf und ein Versuchsgelände mit „Symbiotischer Landwirtschaft“ (Lebensgemeinschaften zum gegenseitigen Nutzen von Boden, Pflanzen und Tieren). Wer sich hier zurecht finden will, achtet auf Zeichen – und die stehen meist auf Schwein:
Ich, Kirsten, stelle mir jetzt vor, wie mein Leben als Schwein so wäre…
Ich heiße Fünkchen, weil ich ein wildes, kleines Mädchen bin. Meine Mama ist eine heftig dicke Sau und hat zum ersten Mal Ferkel wie mich, deswegen wird sie ein bis zwei Tage fixiert, damit sie mich und meine Geschwister nicht tot trampelt. Dann kann sie mit uns wieder im großen Laufstall spielen, viel schlafen und lecker Kleegras fressen. Wir haben Stroh zum Einkuscheln und können so oft ins Freie, wie wir wollen. Manchmal dürfen wir auch auf die große Wiese, bzw. das Matschfeld, weil da haben unsere Kollegen die Wiese schon nach ihren Wünschen gestaltet und schmatzige Würmer und sowas gesucht. Nach einer Weile muss ich meine Mama verlassen. Ein Geschwisterchen von mir hat das gar nicht verkraftet und ist eingegangen. Ich finds aber super mit anderen Kleinen im Kindergarten zu sein.
Mein Lieblingsfreund ist der Toni, weil er so viel schläft und ich ihn immer schön ärgern kann. Er sieht aus wie ein Tiger, ist aber keiner und das gefällt mir. Er ist ein anderes Schwein als ich, also kein Schwäbisch-Hällisches Landschwein, sondern was Gemischtes, das ich vergessen habe. Letztens haben sie ihn weggeholt und seine Sachen zwischen den Beinen abgeschnitten. Er ist betäubt worden, hat noch mehr geschlafen und drei Tage Schmerzmittel bekommen. Dann war er wieder fit, hatte aber plötzlich so eine seltsam helle Stimme. Macht nix. Ist ja trotzdem noch mein Lieblingstoni. Er konnte mir leider nicht erklären, was da passiert ist. Er hatte was gehört, dass sein Fleisch nicht schmeckt, wenn da so viele Toni-Hormone drin sind. Aber was ich nicht verstanden habe, ist das mit dem Fleisch und den Hormonen. Der Toni ist doch mein Toni und kein Fleisch. Wir haben das dann wieder vergessen, weil wo es keine Lösung gibt, soll man erstmal drüber schlafen.
Wir sind größer geworden und haben eine Gang gegründet: Die Ringelschwänze. Wir hatten nämlich gehört, dass anderen Schweinen anderso die Schwänze abgeschnitten werden und da waren wir stolz auf unsere Ringelschwänze.
Plötzlich war Toni weg und kam nicht wieder. Da waren wir ein halbes Jahr alt. Ich hab erstmal geschlafen, weil wo es keine Lösung gibt… Dann hab ich nochmal drüber nachgedacht. Ich hab mal von Spanferkeln gehört. „Span“ ist die Zitze, an der ich bei meiner Mami genuckelt habe, um an die Milch zu kommen. Diese „Milchschweine“ sollen anderswo nach sechs Wochen verschwinden, weil ihr Fleisch so zart ist. Aber das ist ja anderswo und dann ist da wieder das mit dem Fleisch, was ich nicht verstehe. Also schlafe ich. Es ist sowieso so heiß und ich kann ja nicht schwitzen und deswegen schlaf ich viel im Sommer.
Dann kommt mein großer Tag. Ich werde WWW-Schwein. Das ist das Größte, der WWW-Titel, hab ich gehört. Ich bin stolz, weil WWW ist das, was ich am meisten liebe, seit Toni weg ist: Wiese, Wühlen, Würmer. Mit ein paar Kollegen komme ich auf ein neues Gelände, so ohne großen Stall, aber mit viel Wiese und neuen Mitbewohnern, den Hühnern. Die machen komische Geräusche und sind immer so aufgeregt, aber eigentlich ganz in Ordnung. Ich dachte, jetzt werde ich bestimmt auch Muttersau wie meine Mama. Sie hat mir erzählt, da kommt ein Eber und macht einen Natursprung auf mein Hinterteil. Anderswo kommt kein Eber, sondern ein Doktor. Ein Eber ist das, was Toni geworden wäre, wenn er seine Sachen zwischen den Beinen behalten hätte. Toni wäre ein toller Tiger-Eber geworden, das weiß ich einfach. Ich wühle lieber schnell nach ein paar Würmern und fresse ganz viel und dann schlaf ich, weil wo es keine Lösung gibt…
Schwupps hab ich Geburtstag. Ein ganzes Jahr bin ich alt, schon viel älter als die meisten Schweine anderswo überhaupt. Die holen mich und meine Kollegen und stellen uns in einen neuen Stall. Da gibts auch Stroh zum Kuscheln und da wir uns alle kennen ist es ganz gemütlich. Eine Nacht schlafen wir gut. Früh morgens holen sie einen Kollegen von mir und bringen ihn in ein Zimmer nebenan. Ich höre nicht wirklich viel, es scheint nix schlimmes zu sein. Aber ein bisschen was höre ich doch und das kenne ich alles nicht. Dann holen sie mich.
Ich gehe einen engen Gang entlang. So einen Gang mit glänzenden Steinen an den Wänden habe ich noch nie gesehen. Ich weiß nicht recht, was das jetzt werden soll. Aber ich kenne die Menschen, die sind nett und meine Kollegen sind nebenan, deswegen schreie ich nicht. Der Mensch setzt mir ein merkwürdiges Gerät an Kopf und Herz an. ich spüre einen Schlag, der durch meinen ganzen Körper geht. Ach, Toni, denke ich und sehe einen stattlichen Tiger-Eber wie er für mich Würmer ausbuddelt. Dann höre ich im Halbschlaf „WWW-Feinschmeckerfleisch“ und denke: Da ist es wieder, das mit dem Fleisch, das ich nicht verstehe. Dann sagt Toni mit dunkler Stimme „Hallo Fünkchen, schön dich zu sehen.“
Nun bin ich wieder Kirsten. Aber Fünkchen und ich haben eines gemeinsam, weswegen ich mir diesen letzten Absatz einfach nicht verkneifen kann. Für Fünkchen ist das allernormalste auf der Welt, das echte WWW-Schweineleben, ein Lottogewinn, ein für Otto-Normal-Schwein in der heutigen Zeit nicht zu erreichendes Luxusgut. Für Kirsten ist ein Leben mit und von der Natur das allernormalste von der Welt, nämlich die natürliche und ursprüngliche Art des Menschseins. Genau das ist aber in der heutigen Zeit so schwer zu erreichen, weil es „Luxus“ geworden ist, weil Land so teuer ist und Wissen verloren. Nur muss ich mich damit nicht abfinden – und wenn ich mein „Luxusziel“ erreicht habe, hole ich mir ein Fünkchen und einen Toni, die einfach nur Schweine sein dürfen, ganz ohne Fleisch.