Wer hätte gedacht, dass man als zukünftige Selbstversorgerin ein neues Fremdwörter-Lexikon anlegen muss! Auf dem ersten Selbstversorger-Kurs meines Lebens lerne ich gleich zwei „Fachbegriffe“, die ich behalten kann: „Abgeschneckt“ für die Wüste, die Schnecken im Gemüsegarten hinterlassen und „durchgemyzelt“ für den kompletten Pilz-Durchwuchs eines Baumstamms. Genau so fühle ich mich nach einer Woche: Die Kapazität meines Gehirns ist „abgeschneckt“, in meinem Kopf tümmelt sich so viel neues Wissen, dass in meinem Gehirn eine Wüste der schieren Verzweiflung herrscht. Hilfe, wie behalte ich das alles und wie setze ich es um? Außerdem bin ich nun vollständig durchgemyzelt vom Selbstversorger-Tatendrang und unwiderruflich vom Selbstversorger-Pilz infiziert. Aber der Reihe nach…
Ich war eine Woche in Niederbayern im Mienbacher Waldgarten bei Selbstversorgerin Hannelore Zech in der Schule. Beim Stichwort „Waldgarten“ dachte ich an Kälte und Düsterniss, vermatschte Pfade auf dem langen Weg zur Toilette, ein alternatives „Hejho, sei doch nicht so spießig“ und natürlich, oh Gott, massenhaft Zecken. Todesmutig hatte ich beschlossen, das alles auf mich zu nehmen, nur für meinen Traum, mal eine echte Selbstversorgerin zu werden. Und dann das: Eine urgemütliche Hütte zum Übernachten, ein wunderschönes Seminarhaus, ein Waldgarten ohne Wald sondern mit Wildnis, Sonnenschein, sehr nette Menschen und weit und breit keine Zecken (sondern Schmuddel & Lienchen, die zwei Hausschweine, die mir netterweise nicht an meine Blutbahn wollten).
Die Selbstversorger-Akademie beginnt unter dem fast antiken Dachgebälk der ehemaligen Scheune mit einer Einführung in die Permakultur, einer Art ethischem Gärtnern mit Blick auf das große Ganze im Zusammensein von Natur, Tier und Mensch. Ich bin begeistert davon, wie man seinen Landsitz (wenn man einen hat) am schlausten aufteilt, Wasser- und Energieverbrauch gewitzt einplant. Was es alles gibt! Man stelle sich vor: einen Hühnertracktor – ein bewegbares Hühnerhaus, das man immer dort hinschiebt, wo ein neues Gemüsebeet entstehen soll (die Hühner scharren den Boden auf, entfernen die Grasnarbe und düngen gleichzeitig).
Zweiter & Dritter Tag: Gemüseanbau & Wildkräuter
Ich entdecke auf unserem Rundgang durch den Waldgarten eine wunderbare Staude mit lila Sonnenblüten, langen Stängeln und faustgroßen Pusteblumen-Kugeln. Was, das ist die Haferwurz? Bei mir zu Hause zeigt die nur zwei mickrige, längliche Blätter. Achso, im zweiten Jahr sieht die erst so aus, wenn sie die Samen ausbildet. Ahja. Und was ist das für ein Busch? Ein Mangold? Ah, auch im zweiten Jahr, so so. Eigentlich krass, dass ich keine Gemüsepflanze kenne, wie sie im zweiten Jahr aussieht.
Wie, ich lege eine Schicht Karton und darauf eine Schicht Mulch (ähm, was war das nochmal, achso, unverrottetes organisches Material) aufs Gras und grabe den Boden gar nicht um? Nein? Hm. Das Gras verschwindet unter dem Karton, dann kann man Kartoffeln zur Bodenlockerung anbauen und fertig ist das zukünftige Gemüsebeet. Sowas.
Solche Aha-Effekte habe ich am laufenden Band, während wir Pflanzen pikieren lernen und Wildkräuter sammeln und bestimmen. Ach, das ist der Unterschied… so wirkt die… echt jetzt?
Ich falle jeden Abend früh schon in mein Holzhütten-Bett und habe kaum die Energie (apropos „abgeschneckt“) mich länger mit meinen Mitschülerinnen zu unterhalten. Ich merke nur, so unterschiedlich wir sechs Frauen alle sind, haben wir doch einen Draht zueinander.
Vierter Tag: Brot backen, Seife sieden & Co
Was die Oma vielleicht noch kannte und ich mir kaum vorstellen kann: Ein plastikfreies Badezimmer mit selbstgemachten Wasch- und Putzutensilien. Ob das funktioniert, die Schlämmkreide-Zahncreme mit Fenchelöl, die Ringelblumencreme mit Bienenwachs, die Haarseife und der Fichtennadel-Kloreiniger? Keine Ahnung, ich werde es ausprobieren, sobald ich zu Hause bin. Hier im Kurs sieht es schon mal interessant aus und irgendwie auch nach Hexenküche, so mit Natron und diversen Kräuterlein, Seifenformen und Ölen.
Herjeh, und rechnen muss man können: Wieviel Prozent Überfettungswert, Tabellen für bestimmte Öle nachschlagen, etc. Immerhin, die Zahncreme schmeckt schon mal gut. Zur Entspannung gibt es Brot mit sebstgemachter Hefe (Rosinen & Honig machen das für uns) aus dem Lehmbackofen. Lecker süß und ungeahnt knusprig.
Letzter Tag: Nutztierhaltung & Pilzzucht
Oh je, schon fast vorbei, diese wunderbare Exkursion in eine Zeit vor meiner Zeit, als man noch genau wusste, was in den Sachen ist, die man sich ins Gesicht schmiert (kein Erdöl!) oder auf dem Teller serviert (keine E irgendwas!) – und als man noch viele nette Gefährten mit Federn, Borsten und Fell um sich hatte. Eine kleine Eierkunde klärt mich auf, wie man am Dotter erkennt, was das Huhn gefressen hat. Achtung Hellgelb: Legemehl = Fischmehl = Gentechnik. Wer weiß schon noch, dass Hühner kuscheln können? Dass die Ziege der armen Leute Kuh war? Dass es eine schwarze Urbiene gibt? Dass auch manche Nutztiere vom Aussterben bedroht sind?
Meinen Lieblingspilz Shiitake kann man selber anbauen. Auch Kräuterseitling, Kulturträuschling und andere nie gehörte Pilzsorten, oder den ordinären Champignon. Ein abgelagertes Stück Holz, ein Strohballen oder ein paar Strohpellets genügen schon als Pilzgarten und die Impfbrut kann man im Internet bestellen. Platz braucht man halt und Geduld, bis alles „durchgemyzelt“ ist.
Ich will nicht Heim. Meinen Mitschülerinnen geht es ähnlich und uns fällt auf, was uns noch fehlt: Einmachen und Wolle spinnen haben wir noch nicht gelernt. Hannelore findet noch einen Termin Ende August für ein Wochenende für uns. So fällt es leichter zu gehen, wenn man wieder kommen kann.
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