Wochenende, Sonnenschein… und schon sind die Zufahrtswege zur stadtlosen Natur mit Autos verstopft, deren Insassen sich einmal kräftig erholen wollen. Die Vögel zwitschern… und schwupps wappnen sich Gärtnerinnen und Gärtner mit allerlei Handgerät, um ausgiebig im Dreck zu wühlen. Die Balkonbesitzer rüsten auf und füllen ihr kleines Paradies mit frischem Grün. Ja, der Frühling kommt und mit ihm die Winterschlacken abschüttelnden Lebensgeister, die Sonne tanken wollen. Aber ist Licht, Grün und frische Luft schon alles, warum es uns Menschen in Natur und Garten zieht?
Der Grund, warum wir als Selbstversorger-Träumer einen Gemüsegarten anlegen, liegt auf der Hand: Wir wollen Gemüse ernten! Klar ist auch, die eigene Ernte schmeckt besser als alles Gekaufte und sie macht uns stolz. Doch, auch wenn wir nichts ernten, lieben wir unseren Garten trotzdem. Es macht (meistens) Freude, ihn nur anzuschauen. Es ist schön, Bienen, Schmetterlinge und Grashüpfer bewirten zu dürfen. Im Dreck wühlen, umgraben, aussäen, einpflanzen… das ist nicht nur körperlich ertüchtigend, sondern auch Balsam für die Seele.
Die Lebensprobleme wiegen im Garten leichter und rücken in die Ferne. Der Weltstress verflüchtigt sich zwischen den Gemüsebeeten. Die ausgelaugten Lebensgeister weiden sich an der sonnenumspielten Gartenluft und erneuern sich.
Warum kann der Garten – natürlich auch die Natur und manchmal sogar der Balkon – all das eigentlich?
Was uns die Wissenschaft sagt
Ja, das Sonnenlicht kurbelt die lebenswichtige Vitamin D3 Produktion in der Haut an und kann so Mangelerscheinungen und Krankheitserscheinungen vorbeugen (Quelle). Aber das ist noch lange nicht alles:
- Gärtnern harmonisiert den Blutdruck und macht das Gehirn effizienter
- Es hebt die Stimmung und hilft gegen Burn-out, Ängste und Depressionen
- Gärtnern verbessert den (Hormon- und Kalzium-) Stoffwechsel
- Es senkt den Cholesterinspiegel und das Schmerzempfinden
Aus diesen und einigen weiteren Gründen wird die Gartenarbeit immer öfter als eine Form von Therapie eingesetzt (Quelle). Seid ca. zehn Jahren gibt es sogar einen handfesten Erklärungsansatz, wie all diese positiven Effekte vom Garten in den Körper des Menschen gelangen könnten.
Die Brücke zwischen der Natur im Außen und dem menschlichen Inneren scheinen zwei Vermittler zu schlagen:
Das gutartige Bakterium Mycobacterium vaccae steigert den Serotonin-Spiegel ähnlich einem Antidepressivum. Es genügt, durch den Garten zu wandeln und zu atmen, in der Erde zu wühlen oder ein Stück Karotte frisch aus der Erde zu naschen. Das Bakterium ist im Boden und in der Luft. Es kann durch die Atemwege, die Haut oder den Mund aufgenommen werden (Quelle).
Man muss keinen Garten besitzen, um in den Gesundheitsgenuss der Natur zu kommen. Es genügt ein Spaziergang im Wald, den die Japaner und Südkoreaner als „Waldbaden“ (Shinrin Yoku) bereits fest in ihre Gesundheitsvorsorge aufgenommen haben. Erste Waldbad-Seminare gibt es auch in Deutschland.
Harze und ätherische Öle in Kräutern, Bäumen und anderen Pflanzen haben bestimmte chemische Verbindungen als Hauptbestandteil – die Terpene. Sie werden von den Pflanzen in die Luft abgegeben. Diese Naturstoffe stärken das Immunsystem und haben vielfältige, weitere Wirkungen (Quelle).
Aber mal ehrlich, so interessant diese Erkenntnisse sind, haben wir es nicht schon längst gespürt, dass die Natur uns gut tut – egal, wie genau sie das jetzt macht?
Was die Pflanzen uns sagen
Als ich das erste Mal klar spürte, dass Pflanzen eine besondere Kraft haben, war ich vielleicht Mitte Zwanzig. Ich saß in meiner Mini-Stadtwohnung und hatte Liebeskummer. Ich fühlte mich einsam und verlassen. Niemand schien mich zu mögen. Keiner war da. In meiner Verzweiflung schnappte ich mir den Topf mit meiner Zimmerpflanze darin, um wenigstens etwas im Arm zu halten und weinte ihr in die farnartigen Blätter. Die Zimmerpflanze war von mir vernachlässigt und sah schwächlich aus. Trotzdem passierte etwas eigenartiges. Die Pflanze liebte mich. Ohne Zweifel. Verdutzt strich ich über ihre Blätter und mein Herz wurde leichter.
Lange habe ich dieses Erlebnis vergessen. Heute glaube ich, in der Natur und im Garten geschieht ähnliches.
Die Pflanzen zeigen uns ihr Wesen, indem sie einfach da sind: Sie sind friedlich. Sie haben Zeit. Sie tragen die Weisheit von Mutter Erde in sich. Und, da jemand mit Zeit, Weisheit und Friede in seinem Inneren nicht anders kann, strahlen Pflanzen Liebe aus.
Eine winzige Dosis vom Wesen der Pflanzen kann man erhaschen, wenn man sich in ihre Nähe begibt. Mit der Zeit wächst dadurch das eigene Bedürfnis, den Pflanzen etwas zurück zu schenken. Man will nicht nur ernten und nutzen, sondern den Pflanzen, dem Boden und der Erde etwas Gutes tun, ihnen auch eine Freude bereiten. Das geht ganz leicht mit einem Geschenk von etwas Kompost und ein wenig Mühe, von viel Bewunderung und einem Summen, vielleicht von einem Lied, von der Aussaat von Blumen als Bienenfutter, von einem Bereich Wildnis im Garten… und was uns sonst noch einfällt.
Das verändert die Perspektive auf das Gärtnern und die Selbstversorgung, auf das Balkon-Abenteuer oder den Waldspaziergang. Man nimmt wahr und schätzt viel mehr, was man für selbstverständlich oder belanglos hielt – wie den Regen, die Sonne, ein Stück unversehrte Natur.
Es kann sogar die Lebenseinstellung erneuern. Man nimmt nicht mehr so ernst, was man womöglich „gewinnt“ – sei es die Gemüseernte oder die Glückshormone. Was zählt ist, dass man etwas aus Zuneigung für die Natur an die Natur verschenkt. Da man spürt, wieviel man längst schon von ihr bekommen hat.
Unsere Geschenke an die Natur bringen uns dem vergessenen Teil im eigenen Inneren näher, der uns mit den Ursprüngen verbindet, als wir dem Wesen der Pflanzen noch ähnlich waren – als wir mit Zeit, in Friede, Weisheit und Liebe lebten.
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