„Ich spinne seit zwölf Jahren offiziell“, stellt sich unsere Spinnlehrerin Christine Dobler-Auer vor und lacht dabei wie ein ausbrechender Vulkan. Ja, das wird ein heiterer Tag. Denn wir fünf Kurs-Mädels „spinnen“ wahrscheinlich alle irgendwie für irgendwen. Ich möchte wissen, wie man so richtig spinnt, deswegen bin ich hier. Da Patrick und ich von einer kleinen Herde Alpakas träumen, muss einer von uns ja wissen, was man aus deren Wolle alles machen kann und wie das geht. Also lerne ich am Vormittag ein wenig spinnen bei Christine und filze am Nachmittag ein Paar Pantoffeln bei Hannelore Zech. Ort: Werkstatt des Mienbacher Waldgartens in Niederbayern.
Wir fühlen und riechen uns durch die verschiedenen Wollsorten, die Christine mitgebracht hat. Gastgeberin Hannelore steuert noch weitere „Kostproben“ bei, wie das weiche Angora von ihrem geschorenen Kaninchen. Manchmal riecht die Wolle noch nach Schaf, manchmal bleibt das Lanolin (Wollfett) etwas an den Fingern kleben. Spannend für vegane Spinner: Es gibt sogar Sojaseide, Bambus- und Hanf-Wolle.
Außer Wolle braucht man natürlich noch ein Spinnrad zum spinnen. Christine erklärt uns, worauf man beim Kauf achten muss und wie das Spinnrad funktioniert. Wichtig ist der Doppeltritt, das behalte ich, weil der Antrieb mit beiden Füßen den Rücken weniger belastet. Die gesäuberte Rohwolle wird als erstes kardiert, dabei werden die Fasern mit Hilfe von Kämmen gleichmäßig ausgerichtet und es entsteht ein feines, geordnetes Vlies, das leichter zu verarbeiten ist. Früher hat man das wohl mit Hilfe der Karde gemacht, einer alten Heilpflanze mit Stacheln, daher der Name.
Mit viel Fingerspitzengefühl verbindet man die Wolle mit der Spindel des Spinnrads und kann dann durch ziehen und loslassen der Wolle und drehen des Spinnrads einen Faden spinnen. Das muss man selber probieren und ist kaum zu erklären, schon gar nicht von einer Neu-Spinnerin wie mir. Hat man einen Faden zu Ende gesponnen ist mann allerdings noch lange nicht fertig. Es braucht einen zweiten Faden, der dann mit dem ersten Faden zusammen verzwirnt wird. Erst dieser doppelte Faden ist das Ausgangsmaterial zum Stricken, Häkeln etc. Aha, wieder ein Stück schlauer geworden. Ich darf auch selbst einmal probieren. Schwupps, natürlich reisst der Faden. Da braucht es wohl noch ein paar Jährchen Übung zur echten Spinnerin.
Beim Filzen kommt man schneller zum Ziel und hat nach ein paar Stunden ein fast fertiges Produkt in der Hand, nicht nur ein Ausgangsmaterial zur weiteren Verarbeitung. Ich merke, wie ungeduldig ich bin. Wir legen mit dem Filzen los, indem wir eine Plastikschablone unserer Schuhgröße zuschneiden. Dann trennen wir dünne Schichten des Wollvlieses ab und legen sie übereinander, mal von oben nach unten, mal von rechts nach links. Seifenlauge kommt auf das Vlies. Nun müssen wir „lieb sein“, wie Kursleiterin Hannelore es nennt, und die Wollschichten sanft streicheln. Bis die Schichten sich mehr und mehr verbinden. Dann darf etwas rabiater gerubbelt werden.
Nach vielleicht zehn Minuten ist meine Pantoffelsohle halbwegs verfilzt. Ich klappe die über die Schablone hinaus stehende Wolle auf die Schablone, lege erneut ein paar Schichten Wollvlies darauf und bin wieder „ganz lieb“, dann rabiat. Nun habe ich eine rundum eingefilzte Schablone, muss die auch an den Rändern noch rubbeln und denke nur: Mann, dauert das lange. Nun schneidet man das Einschlupfloch in den Filz und rubbelt wieder die Schnittränder. Herjeh, wie lange noch?
Endlich ist der linke Pantoffel fertig. Ich brauche ja noch einen Rechten. Mist. Wieder „lieb sein“ und rubbeln und schneiden und rubbeln. So, nach einer gefühlten Ewigkeit bin ich stolze Besitzerin zweier seifenlaugennasser Pantoffeln. Der Linke hat an der Sohle ein kleines Loch, der Rechte eines auf der Oberseite. Da war ich wohl nicht lange genug lieb. Macht nix, das kann man nachträglich noch stopfen, wenn alles trocken ist, tröstet mich Hannelore. Was, wir sind noch gar nicht fertig? Nein, erst noch jeden Pantoffel mit heißem Wasser übergießen, in Handtücher einschlagen und kräftig durchkneten – zum finalen Verfilzen, zum Einschrumpfen und Zurechtziehen. Dann ist es soweit. Die Filzpantoffeln sind fertig (bis auf das Löcher stopfen). Irgendwie sehen sie schon süß aus und plötzlich kann ich sie tatsächlich lieb haben.
Meine Spinn- und Filz-Kolleginnen waren nicht so ungeduldig wie ich bei der Arbeit und wollen gleich einen neuen Termin zum Hüte filzen ausmachen. Ich möchte meine noch zarte, zerbrechliche Liebe zu den ersten eigenen Filzpantoffeln nicht gleich überfordern. Statt einen neuen Kurs zu buchen kaufe ich Hannelore lieber ihren Filzhut ab und bin glücklich, so von Kopf bis Fuß neu eingefilzt.
(Mein Hut mit Hannelore und nochmal Hannelore mit dem Hut ihres Sohnes)